Was des Papstes Medienschelte zum "Fall Aupetit" wohl bedeutet?
Von Alexander Brüggemann (KNA)
Oft hat Papst Franziskus an Bischöfen festgehalten, die eigentlich nicht zu halten waren. Beim Pariser Erzbischof Aupetit ging alles schnell - und die Begründung des Papstes dafür gibt Rätsel auf. Die Medien trügen die Schuld. Und die legen fleißig nach, wie KNA-Redakteur Alexander Brüggemann feststellt.
Paris (KNA) Im Papstflieger von Athen nach Rom herrschte helle Aufregung unter den französischen Journalisten. Und kaum, dass die Meldung über die Ticker lief, entlud sich schon ein Gewitter in den Sozialen Netzwerken. Einmal mehr hat Franziskus bei seiner sogenannten Fliegenden Pressekonferenz nach der Zypern- und Griechenland-Reise mit spontanen Äußerungen für mehr Verwirrung als Klarheit gesorgt.
Während des Hinflugs von Franziskus nach Zypern hatte der Vatikan nüchtern mitgeteilt: Der Papst habe den Amtsverzicht des Pariser Erzbischofs Michel Aupetit mit sofortiger Wirkung angenommen. Ein Paukenschlag, kaum eine Woche, nachdem französische Medien über Verwerfungen und Richtungsstreit im Bistum sowie über eine fehlgeleitete E-Mail berichtet hatten, die ein Verhältnis des damaligen Generalvikars Aupetit mit einer erwachsenen Frau belegen sollte. Aupetit dementierte das, fühlte sich aber zunehmend in die Enge getrieben. Und der Papst nahm seinen Amtsverzicht umgehend an.
Mit welcher Begründung, wollte nun eine französische Journalistin von Franziskus direkt wissen. Und der antwortete mit einer Gegenfrage: Die Journalisten sollten sagen, was man Aupetit vorwirft. Als die keine Antwort gaben, antwortete der Papst selbst: "Die öffentliche Meinung" habe den Erzbischof zu Fall gebracht; die Medien hätten Aupetit auf dem Gewissen - also sollten nun auch sie rausfinden, warum er entlassen wurde; dann könnten sie es ihm ja mitteilen. Die Medien sollten genauer recherchieren und nicht nur aufgrund von Gerüchten urteilen.
Unscharfes Foto im Boulevard
Am Donnerstag legte das Boulevardmagazin "Paris Match" nach und zeigte ein unscharfes Foto von Aupetit mit seiner angeblichen "Freundin" auf dem Titel, einer belgischen Theologin. "Kein Pardon für den Pariser Erzbischof. Er hatte den Papst belogen." Aupetit sprach seinerseits von Lüge und Verleumdung - und kündigte eine Klage an.
Schräg auch die folgende Schilderung des Papstes; so vage und widersprüchlich, dass man glauben mag, es handele sich um bloßes Hörensagen. Der spätere Erzbischof habe einen Fehler gemacht, indem er damals seine Sekretärin "leicht gestreichelt und massiert" habe - eine Aussage des Papstes, die laut dem "Figaro" Frankreichs Episkopat "tief schockiert" habe.
Die mediale Darstellung, die vorher in Paris zu dem Eklat geführt hatte, war freilich eine ganz andere. Dort hatte es geheißen, Aupetit habe sich 2012 durch eine an seine Sekretärin fehlgeleitete E-Mail verraten. Die betreffende Frau sei eine andere gewesen. Der Vatikan strich in der offiziellen Abschrift der Fliegenden Pressekonferenz nachträglich die päpstliche Erwähnung der massierten Sekretärin.
Egal, wer nun wirklich das weibliche Gegenüber der erzbischöflichen Zärtlichkeitsbekundungen war - Franziskus nannte den Zölibatsverstoß "nicht allein ausschlaggebend" und sinnierte darüber, dass die "Sünden des Fleisches" keineswegs die schlimmsten seien, das seien vielmehr solche Sünden wie Hass oder Missgunst. Rekurrierte er auf die angeblichen Querelen im Erzbistum - oder meint er damit, was er den Journalisten im Flieger ebenfalls sagte: Dass Aupetits Ruf nach den medialen Anwürfen und den "Gerüchten" so beschädigt gewesen sei, dass er seine Diözese nicht mehr habe regieren können. Nicht wegen seiner Sünde - sondern wegen der öffentlichen Vernichtung seines Rufs.
Diese Aussage wirft nun weitere, noch gravierendere Fragen auf. Denn das Handling im Fall Aupetit wirkt wie ein kompletter Kurs- und Argumentationswechsel bei Amtsverzichten von Bischöfen. Einige Blicke zurück: Im Januar 2018 verteidigte Franziskus in einer spontanen Äußerung den chilenischen Bischof Juan Barros gegen Vertuschungsvorwürfe; dieser werde "verleumdet". Die Empörung war riesig; der Papst musste breite Ermittlungen einleiten. Am Ende boten die chilenischen Bischöfe fast geschlossen ihren Rücktritt an; mehrere davon nahm Franziskus an.
Der "Fall Philippe Barbarin": Vertuschungsvorwürfe auch gegen den Lyoner Kardinal; eine Folge von Prozessen, riesiger medialer Druck. Franziskus gibt nicht nach, ebenso wenig wie im Fall des australischen Kurienkardinals George Pell; er betont stets, es gelte die Unschuldsvermutung. Am Ende zwei Freisprüche. Erst 2020 nimmt der Papst den wiederholten Amtsverzicht Barbarins an.
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, seit Monaten im Kreuzfeuer öffentlicher Kritik wegen seines Umgangs mit Missbrauchsopfern: Der habe sich außer schlechter Kommunikation nichts zuschulden kommen lassen, sagt der Papst. Ob Woelkis Ruf nach den andauernden Vorwürfen so beschädigt sein könnte, dass er seine Diözese nicht mehr regieren könnte? Franziskus scheint das anders zu sehen - und gibt dem Kardinal eine Auszeit. Auch der Münchner Kardinal Reinhard Marx bietet mit Verweis auf den kirchlichen Missbrauchsskandal seinen Amtsverzicht an. Nein, Marx werde noch gebraucht, sagt der Papst und belässt ihn im Amt.
Nun aber im Fall Aupetit eine sofortige Reaktion, ohne einen Weg zurück - und letztlich ohne Transparenz für jene, die sich noch dafür interessieren. Was bedeutet das für künftige Fälle dieser Art? Muss ein unliebsamer Kirchenmann nur heftig genug angeworfen werden, damit seine umgehende Entlassung erfolgt? Das wäre quasi eine Ermunterung zum Rufmord. "Ich habe den Rücktritt von Aupetit angenommen nicht auf dem Altar der Wahrheit, sondern auf dem Altar der Heuchelei", sagt Franziskus. Das ist ein zumindest ungewöhnlicher Altar für einen Papst.
Der Fall war deutschen Medien wohl zu kompliziert
Die mediale Wirkung der Aupetit-Kommentare im Flieger blieb - außerhalb von Frankreich - eher begrenzt. In früheren Jahren hatten unüberlegte Äußerungen von Franziskus bei den sogenannten Fliegenden Pressekonferenzen manchmal sogar die positiven politischen Ergebnisse einer Papstreise überlagert und damit letztlich zunichte gemacht. So etwa seine Worte über die Vorurteile bezüglich der Vermehrung von Katholiken ("wie die Karnickel") oder seine Empfehlung für einen elterlichen "Klaps auf den Hintern" und die anschließende Diskussion über eine Verharmlosung des Schlagens von Kindern. Die Aufregung war jeweils weltweit und heftig, im Fall Aupetit war es - jedenfalls bislang - anders.
Zumindest den deutschen Medien war die Pariser Affäre offenbar zu kompliziert - oder angesichts der längeren Querelen um Woelki und Marx zu lästig. Sie berichteten fast durchwegs über die "guten" Botschaften der Reise. Im Zentrum: mehr Solidarität der Europäer mit Flüchtlingen. Nur die "Bild"-Zeitung wählte einen anderen Fokus und schaute dem Papst stattdessen unter den Rock wie weiland Marilyn Monroe. "Bild" eben.
Der französische Vorzeigephilosoph und Publizist Bernard-Henri Levy hingegen - in Frankreich meist kurz BHL genannt - stimmte ein in den Chor derer, die den politischen Teil der Papstbotschaften lobten. In der "Süddeutschen Zeitung" verglich er die Worte des Papstes zur Migration mit denen von Jesus Christus persönlich. Pikant: BHL ist auch regelmäßiger Autor des Magazins "Le Point", das mit seinen Gerüchten den Aupetit-Skandal erst losgetreten hatte.
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