Medienjournalistin Baetz: "Die meisten Verlage haben nie verstanden, was Medienjournalismus eigentlich soll"

Wie sieht die Zukunft des Medienjournalismus aus? "@mediasres"-Moderatorin Brigitte Baetz plädiert dafür, Themen auch jenseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Fachdienste allein reichten nicht aus.

Von Steffen Grimberg (KNA)

 




Köln (KNA) Die Medienjournalistin Brigitte Baetz befürchtet, dass ihr Metier auf dem Rückzug ist. Die Zunft verliere sich zu oft im Klein-Klein, vernachlässige wichtige Entwicklungen und werde in den Medienhäusern nicht gerade geliebt. Nötig seien mehr Berichterstattung über den digitalen Wandel und mehr Offenheit für wechselseitige Kritik in der Branche, sagte die Moderatorin der Deutschlandfunk-Sendung "@mediasres" in einem Interview des KNA-Mediendienstes.


KNA-Mediendienst (MD): Frau Baetz, der Fachdienst "epd Medien" hat einen Beitrag über den Zustand des deutschen Medienjournalismus mit "Verlustanzeige" betitelt. Hans-Jürgen Jakobs, ein Grandseigneur des Fachs, bescheinigte seiner Zunft, sie sei zwar noch nicht tot, rieche aber ein bisschen streng. Ist die Lage tatsächlich so schlimm?

Brigitte Baetz: Ich sehe schon die Gefahr, dass Medienjournalismus irgendwann überhaupt nicht mehr stattfindet. Über Medien zu berichten war ja ohnehin nur kurze Zeit - verbunden mit dem Aufkommen der zweiten und dritten Generation der Privatsender in den 1990er Jahren - plötzlich richtig schick. Obwohl das die breiten Massen sicher auch nicht so enthusiasmiert hat, wie manche damals dachten. Es gab aber viele Verlage, die sich ein Medienressort gegönnt haben. Und wenn ein Titel anfängt, wie der "Tagesspiegel" mit Lutz Hachmeister schon vor rund 35 Jahren, ziehen viele andere nach. Heute machen etablierte Zeitungstitel ihre Medienseiten mit dem Gedanken dicht, "das liest ja eh keiner". Das ist fatal, denn es kann doch nicht sein, dass am Ende nur noch der öffentlich-rechtliche Rundfunk über Medien berichtet.

MD: Auch der "Tagesspiegel" hat mit der jüngsten Blattreform Ende 2022 die klassischen Medienseiten eingestellt. Bei "Zeit", "Focus" und "Spiegel" gibt es schon deutlich länger keine eigenen Medienressorts mehr. Woher kommt dieser Trend gerade bei den Verlagen?

Baetz: Die meisten Verlage haben nie verstanden, was Medienjournalismus eigentlich soll. Außerdem fürchten sie Ärger mit der Konkurrenz - und das in einer Zeit, wo nie so ganz klar ist, wer morgen vielleicht wen kauft. Das bekannteste Beispiel ist ja der Verleger Dirk Ippen, der die Veröffentlichung einer Recherche seines eigenen Investigativ-Teams über den früheren "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt verhinderte. Auch Ippen hat ja damals argumentiert, das sei ein Mitbewerber.

MD: Gilt also weiterhin das alte Diktum des "Stern"-Chefs Werner Funk: "Wenn man früher etwas über einen anderen Verlag schrieb, rief man dort an und entschuldigte sich vorab"?

Baetz: Ich fürchte ja.

MD: Nun gibt es aber auch ein vielfältiges neues Angebot im Netz aus Fachdiensten wie "DWDL", "Meedia", "Medieninsider" und "Übermedien". Können die es schaffen, zu kompensieren, was da in Print wegbricht?

Baetz: Nur zum Teil, denn diese Dienste erreichen in erster Linie die Fachleute und ohnehin schon Interessierte. Das ist nicht zu unterschätzen, ich lese das sehr gerne. Aber es ist auch wichtig, möglichst viele Menschen zu erreichen. Themen wie Fake News, Medienwandel allgemein und künstliche Intelligenz stellen uns vor riesige Herausforderungen. Diese Fragen sind so tiefgreifend, dass wir sie auch gesamtgesellschaftlich verhandeln müssen und nicht nur den Fachleuten überlassen sollten.

MD: Zu den Themen gehört auch die Medienpolitik, die sich mehr als ein bisschen als Stiefkind fühlt.

Baetz: Das hat auch damit zu tun, dass Medienpolitik wegen der föderalen Struktur in Deutschland so komplex ist. Aber ich stelle mir natürlich die Frage, ob das vielleicht auch an uns Medienjournalisten liegt - weil wir zu kompliziert über diese sehr komplizierte Materie berichten. Allein ein Wort wie Telemedienänderungskonzept ist so ein Ungetüm, das die meisten Menschen abschreckt. Wir machen uns zu oft die komplizierte Sprache der Medienpolitik zu eigen. Selbst die eigentlich gute Idee von "Zapp", Tilo Jung seine naiven Fragen stellen zu lassen, endete unlängst ja recht schnell in einer ziemlich komplizierten Debatte, wo ich als Expertin dachte: Wen nimmt das denn eigentlich noch mit, wer versteht eigentlich noch, um was es hier gerade wirklich geht?

MD: Vernachlässigt der Medienjournalismus vielleicht auch einige Themen und manövriert sich so selbst ins Aus? Hans-Jürgen Jakobs verweist darauf, dass die wichtigen Medienthemen heute durch die großen Tech-Konzerne aus den USA gesetzt werden, aber auf deutschen Medienseiten geht es - überspitzt gesagt - hauptsächlich um den nächsten "Tatort".

Baetz: Da hat er recht. Zudem verlieren wir uns oft zu sehr im Klein-Klein und übertreiben es vielleicht auch manchmal mit unserer Chronistenpflicht. Wenn alle kleinen Zwischenschritte abgebildet werden, wie jetzt gerade bei der Berichterstattung über die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, geht der Blick für die großen Entwicklungen verloren. Der "Tatort" ist übrigens schon wichtig, weil er die deutsche Fernsehlandschaft prägt und durchaus gesellschaftliche Debatten anstößt.

MD: Haben die etablierten Medienhäuser in Deutschland ein grundsätzliches Problem damit, über sich und die eigene Branche zu berichten - und damit auch zu kritisieren?

Baetz: Das ist de facto ein sehr großes Problem. Denn es bedeutet im Umkehrschluss, dass es bei vielen Medienunternehmen auch mit der internen Kritik nicht weit her sein kann. Klar wird niemand gern kritisiert. Aber da sollten sich vor allem Medienhäuser mal lockermachen. Als RTL vor gut einem Jahr Gruner + Jahr übernahm, habe ich in einem Kommentar gesagt: "Das ist das Ende von Gruner + Jahr." Danach rief die Pressestelle von G+J an und beschwerte sich, wie ich dazu käme, so etwas auch nur zu behaupten, das wäre kein Journalismus. Ein Jahr später ist dann genau das passiert.

MD: Noch gibt es G+J als Publishing-Einheit bei RTL.

Baetz: Eine gewisse Beißhemmung ist aber bei allen Medien zu bemerken: Was sie bei anderen Unternehmen, Institutionen oder der Politik einfordern, steht in keinem Verhältnis zu der vornehmen Zurückhaltung, wenn es um sie selber geht. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

MD: Welche Spielregeln muss denn der Medienjournalismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einhalten? Beim WDR gab es mal eine Mediensendung mit dem schönen Titel "Im Glashaus"...

Baetz: Ich kann nur den Deutschlandfunk beurteilen. Hier haben wir alle Freiheiten. Wir müssen aber noch manchmal Kolleginnen und Kollegen klarmachen, dass es hier nicht um Nestbeschmutzung, sondern relevante Themen geht.

MD: So weit wie die BBC, wo schon mal der eigene Intendant im laufenden Programm gegrillt wurde und am nächsten Tag zurücktrat, sind wir in Deutschland doch noch nicht.

Baetz: Das liegt aber nicht an den Journalisten. Die Aufarbeitung der RBB-Kollegen im Fall Schlesinger war schon vorbildlich - nachdem der "Business Insider" gute Recherchearbeit geleistet und den Weg bereitet hatte. So funktioniert Selbstreinigung der Branche.


Zur Person: Brigitte Baetz konzentriert sich als freie Journalistin auf die Schwerpunkte Medien und Politik. Sie ist unter anderem feste freie Mitarbeiterin des Deutschlandfunks und betreut speziell die Sendung "@mediasres", die sie auch moderiert. Für die Vorgängersendung "Markt und Medien" wurde sie gemeinsam mit ihren Kollegen 2012 mit dem Bert-Donnepp-Preis für Medienpublizistik ausgezeichnet. 2010 war sie Mitbegründerin von "Freischreiber - Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten". In den vergangenen Jahren war sie wechselweise in der Jury/der Nominierungskommission des Grimme Online Award vertreten.


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